Wen wählen liberale Amerikaner?

von | 02.08.2024 | International, Meinung, Politik | 0 Kommentare

„Liberal“ bedeutet in den USA etwas anderes als bei uns. In Deutschland verbinden wir das Wort mit wirtschaftlicher und individueller Freiheit, mit einem schlanken, zurückhaltenden Staat, mit Menschen, die ihr Leben frei ausleben können. In Amerika hat der Begriff eine andere Konnotation, er wird oft als Kampfbegriff verwendet, den die Republikaner den „Liberals“ an den Kopf werfen. Dort bedeutet es also, nicht konservativ zu sein, wird mit linker Politik verbunden. Dabei hat sowohl rechte als auch linke Politik wenig mit Liberalismus zu tun.

Nun gibt es in den USA aber nunmal nur zwei große Parteien. Die eine historisch links der Mitte, die andere rechts. Beide sind beliebte Volksparteien, die alle Politikbereiche abdecken müssen. Aus wirtschaftlicher Sicht schreiben viele den Republikanern die liberaleren Haltungen zu. Gesellschaftliche, „moderne“ Freiheiten werden eher bei den Demokraten verordnet. Wir wollen uns einmal anschauen, wer in den Vereinigten Staaten als nächstes ins Oval Office einzieht und wie liberal diese Kandidaten sind.

Donald Trump

Augenscheinlich ein politischer Außenseiter, der bereits einmal Präsident war, damals für viele überraschend. Wir brauchen an dieser Stelle nicht über seine moralische Integrität sprechen, über die vielen schwierigen oder falschen Behauptungen, die er aufstellt, auch nicht über seine gefährliche Art des Marketings – das wissen wir alles schon. Wir springen deshalb in seinem Wahlprogramm direkt zum Kapitel 3: „Building the greatest economy in history“. Dort heißt es zum Beispiel:

Our America First Economic Agenda rests on five pillars: Slashing Regulations, cutting Taxes, securing Fair Trade Deals, ensuring Reliable and Abundant Low Cost Energy, and championing Innovation.

Aus „2024 Republican Party Platform“

Das klingt erstmal nicht illiberal. Das Problem ist aber, dass ein erfolgreicher globaler Kapitalismus einen möglichst freien Markt auch über Ländergrenzen hinweg braucht. Trumps Fokus auf „America First“ wird problematisch für wirtschaftliche Akteure, wenn zum Beispiel hohe Importsteuern im Gespräch sind. Denn in einer global verbundenen Weltwirtschaft ist es essentiell, dass Güter und Dienstleistungen aus ihren Gunstregionen kommen. Wer in Alaska versucht, Bananen anzubauen, wird schnell merken: Ohne große Investitionen in Gebäude und Technik, um den klimatischen Nachteil auszugleichen, wird das nichts. So verhält es sich in vielen Branchen. Wenn wir alles überall effizient produzieren und „dienstleisten“ könnten, gäbe es keinen globalen Handel, keine globale Arbeitsteilung.

Republicans will increase Energy Production across the board, streamline permitting, and end market-distorting restrictions on Oil, Natural Gas, and Coal.

Aus „2024 Republican Party Platform“

Sein Versprechen, wieder mehr Öl, Gas und Kohle abzubauen und zu verwenden, kann man aus zwei Perspektiven sehen. Ja, man könnte es als liberal ansehen, fossile Rohstoffe wieder zu entfesseln. Das Ding mit der Freiheit ist nur, dass sie im Grundsatz für alle gelten muss. Sonst ist es keine Freiheit, sondern Willkür oder Tyrannei. Wenn wir ohne Rücksicht auf die Erderwärmung das Klima weiter anheizen, schränken wir die Freiheit von Milliarden von Menschen ein, die entweder heute schon leben oder in Zukunft geboren werden. Das Wort „climate“ taucht übrigens im Wahlprogramm nicht ein einziges Mal auf. Außerdem, wie liberal ist es, wenn nicht nur das Ziel vorgegeben wird, sondern auch der Weg dorthin? Den Weg zu günstiger Energie kann der Markt doch selbst finden.

We will ban the Federal Government from colluding with anyone to censor Lawful Speech, defund institutions engaged in censorship, and hold accountable all bureaucrats involved with illegal censoring. We will protect Free Speech online. 

Aus „2024 Republican Party Platform“

Meinungsfreiheit ist ein Grundpfeiler des Liberalismus. Aber auch hier: Man sollte mit seiner eigenen Freiheit nicht die Freiheit anderer einschränken. Es ist durchaus gut, dass es rechtlichen Schutz gibt, dass nicht alles gesagt werden darf. Viel im Wahlprogramm, dass ich hier lese, hat ein Geschmäckle, vieles sind in Halbsätze eingeschobene Vorwürfe, die so wohl nicht zutreffen. Ist etwas frustrierend, aber auch nicht überraschend.

We will keep men out of women’s sports, ban Taxpayer funding for sex change surgeries, and stop Taxpayer-funded Schools from promoting gender transition, reverse Biden’s radical rewrite of Title IX Education Regulations, and restore protections for women and girls.

Aus „2024 Republican Party Platform“

Auch beim Thema Gender ist das Programm eigentlich eher illiberal. Über etwas zu informieren heißt nicht, dass es aktiv beworben wird. Wenn man das mit den vielen schwierigen Aussagen kombiniert, die aus der republikanischen Partei zu diesem Thema kommen, kann man sich gut vorstellen, in welche Richtung es gehen soll: Diejenigen, die nicht in ein typisches konservatives Familienbild passen, sollen spüren, dass sie anders und falsch sind. Was ist das denn für ein Menschenbild? Lasst uns doch jedem die Freiheit geben, so zu leben, wie er oder sie möchte. Dass Frauen mit einer restriktiven Politik geschützt werden sollen, ist ein beliebtes Narrativ, aber ein verbrauchtes. Irgendwie habe ich meine Zweifel, dass ein Vergewaltiger sein Geschlecht wechseln wird, um in die Damen-Toilette zu kommen.

Kamala Harris

Auch wenn sie noch kein Wahlprogramm hat und ihre Webseite außer Spendeninfos im Augenblick nicht besonders viel hergibt, gibt es Anhaltspunkte über ihre politischen Überzeugungen:

Kamala Harris versteht sich als Verfechterin von Menschenrechten, dem Rechtsstaat (auch als frühere Generalstaatsanwältin Kaliforniens) und sozialer Gerechtigkeit. Was sich zum Beispiel in ihrer klaren Haltung zum Recht auf Abtreibung widerspiegelt. Sie hat sich öffentlich gegen Versuche ausgesprochen, die Abtreibungsrechte einzuschränken, und unterstützt eine bundesweite Gesetzgebung, die den Zugang zu sicheren und legalen Abtreibungen garantiert.

In der internationalen Politik zeigt Harris eine klare Unterstützung für die NATO und für internationale Zusammenarbeit. Als derzeitige Vizepräsidentin von Joe Biden ist relativ sicher, dass sie auch weiterhin einen warmen und grundsätzlich offenen Umgang mit internationalen Partnern, auch mit Deutschland pflegen wird. Diese offene Haltung steht im Gegensatz zu Trump, der in meinen Augen auf internationalem Parkett eher mit verschränkten Armen dasteht. Globale Kooperation unerlässlich für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.

Aber wie schaut sie auf die Wirtschaft im Speziellen? Während ihrer Kampagne als Kandidatin für das Amt der kalifornischen Generalstaatsanwältin versicherte sie ihren Spendern, dass sie eine Kapitalistin sei. Das wäre als potenzielle Präsidentin der USA auch eine Art Grundvoraussetzung, denn ihren Wohlstand und Einfluss in der Welt haben die Vereinigten Staaten der freien Marktwirtschaft zu verdanken. Auch für Ziele der sozialen Gerechtigkeit ist es wichtig, wirtschaftliche Grundprinzipien und unternehmerische Freiheit mitzudenken. Denn Gerechtigkeit heißt auch, dass sich jeder an einer freien Wirtschaft beteiligen kann – gerade für Amerikaner war das immer ein wichtiger Faktor.

Umweltthemen und saubere Energie stehen ganz oben auf ihrer Agenda. Harris hat sich für den Ausbau erneuerbarer Energien und strengere Umweltvorschriften stark gemacht. Sie erkennt die dringende Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen und eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Die Frage wird nur sein, wie technologieoffen und liberal sie dieses Problem angehen wird.

Fazit

Wenn ich Amerikaner wäre, würde ich von beiden eher Kamala Harris unterstützen. Da es in den USA leider keinen Kandidaten gibt, mit dem ich in allen Themen (zumindest im Großen und Ganzen) übereinstimme, muss man Abwägen zwischen dem Möglichen: Auf der einen Seite steht ein früherer Geschäftsmann, dessen Erfolge man durchaus respektieren kann. Der sich aber mit zunehmendem Alter offenbar zu einem gefährlichen Populisten entwickelt hat. Wenn er Präsident würde und ich in den USA ein Unternehmen hätte, müsste ich jeden Morgen nervös in meine Mails schauen: Entweder erwarten mich Steuererleichterungen oder ein Bürgerkrieg.

Auf der anderen Seite steht eine Politikerin, die mich zwar nicht von den Socken haut, die aber insgesamt eher Gutes als Schlechtes vorhat und eine stabile Politik weiterverfolgen wird, die das Land nicht auseinanderreißt. Möglich, dass ich ein paar Dollar mehr für meinen Strom bezahlen müsste. Aber immerhin könnte ich mich darauf verlassen, dass mein Präsident (bzw. meine Präsidentin) kein Handschlag-Duell mit dem französischen Präsidenten anfängt und einen Weltkrieg anzettelt, falls er es verliert. Trump ist im besten Fall ein rückwärtsgewandter Nationalist, im schlimmsten Fall ein jähzorniger Mann am Atomknopf.

Kamala Harris verkörpert eine komplexe Mischung aus progressiver Sozialpolitik und wirtschaftlichem Pragmatismus. Ihre Betonung von Menschenrechten, internationaler Zusammenarbeit und Umweltschutz sind zumindest teilweise geprägt von einer liberalen Haltung, sie passt aber nicht in das klassische Bild einer Liberalen. Aber letztendlich haben liberale Köpfe mit ihr die Chance, weiterzuarbeiten, sich weiter aktiv und möglichst ungehindert in der nationalen und internationalen Wirtschaft zu engagieren. Stabilität ist eine wesentliche Voraussetzung für freie Marktwirtschaft, für wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg.

Autor

Juri vom Endt
Inhaber der Kreativagentur endt media. Unternehmer mit Leidenschaft für Marketing & Politik

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